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16.5.2008, 19:05
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Dom
Ich habe vorhin im Ulisses-Forum etwas über das sogenannte „Player Empowerment“ gepostet, was ich den Leuten hier nicht vorenthalten will. Daher hier das ganze noch mal, in einer „leicht“ angepassten Version.

Zunächst: Was ist Player Empowerment überhaupt? In jedem Rollenspiel gibt es Kompetenzen. Die sind meist klar formuliert: Der Spieler spielt seinen Charakter, der SL den Rest. Das stimmt aber nicht so ganz, denn viele SL greifen auch mal in eine Chararakterentscheidung ein. Nimmt das überhand und fühlt sich der Spieler dadurch gestört, heißt das dann Railroading. Setzt ein SL das in Maßen ein, wird es meistens akzeptiert und manchmal – wenn es geschickt gemacht ist – sogar als gutes Spielleiten angesehen.

Player Empowerment ist eine Erweiterung der Kompetenzen der Spieler, d.h. die Gruppe einigt sich darauf, dass die Spieler eben nicht nur ihren Charakter spielen, sondern auch darüberhinaus etwas erzählen sollen. So gesehen ist es kein Player Empowerment (denn das verstehe ich so, dass der SL den Spielern mehr Macht gibt), sondern es ist einfach eine andere Verteilung der Kompetenzen. Rechte und Pflichten.

Wie dieses PE genau aussieht, ist von der Einigung der Spieler und von der Gruppe abhängig. Beispielsweise kann einfach der SL die Spieler dazu ermutigen, Kleinigkeiten ins Spiel einzubringen. „Unwichtige“ Dinge dürfen und sollen dann auch von den Spielern gestaltet werden, z.B. wie genau die vom SL beschriebenen düsteren Gestalten in der Taverne aussehen. Oder dass es eine Hure gibt, die an der Mauer lehnt. Oder dass es mal wieder ewig dauert, bis die Ampel auf grün springt. Die Spieler bauen sowas einfach in ihre Erzählungen mit ein und legen so Teile des Hintergrundes mit fest. Bei widersprüchlichen Ideen kann man „Was zuerst erzählt wurde, gilt!“ anwenden. Im Ulisses-Forum fragte Hexe darauf provokativ: „Und bei euch kommt es nie vor, dass aus irgendeinen Grund zwei Leute gleichzeitig anfangen zu sprechen?“ Die Antwort darauf sehe ich wie folgt: Dass zwei Leute gleichzeitig anfangan zu reden, kommt sicherlich immer wieder mal vor. Wenn sich jedoch die Gruppe auf Kompetenzen geeinigt hat und eingespielt ist, ist das egal. Auch in einer klassichen Spielrunde fangen sicherlich auch mal die Leute gleichzeitig an zu reden (und wollen vielleicht widersprüchliche Handlungen ihrer Charaktere beschreiben), aber sie einigen sich dann schnell drauf, wer zuerst spricht. Dafür gibt es in Gruppen (unbewusste) Zeichen und Rangfolgen, die eine Einigung ohne große Worte ermöglichen.

Was ich sagen will: Der Spielstil der gesamten Gruppe hat sich entsprechend angepasst, die Leute nehmen dementsprechend Rücksicht aufeinander und gehen aufeinander ein. Das tun die Leute im klassischen Spiel auch, aber natürlich auf eine andere Art und Weise. Immer so, wie es passt. Würde das nicht funktionieren, macht das Spiel keinen Spaß mehr und die Gruppe bricht auseinander oder einigt sich auf eine Kompetenz-Verteilung, die funktioniert.

Ketzerisch könnte man jetzt auch sagen: „Und wo sind die Player jetzt empowert, wenn die eh nur Farbe hinzufügen dürfen? Dann dürfen die doch trotzdem nicht mehr als vorher auch!“ Naja, das stimmt so nicht. Sie dürfen mehr als in vielen klassischen Runden, sie dürfen nämlich Farbe selber bestimmen und darauf reagieren. Ok, damit haben sie immer noch keinen echten Einfluss auf die Geschichte, trotzdem ist das mehr als nur die Handlung ihrer Charaktere. Und für die gute Stimmung ist es auch wichtig, dass diese Farbe zum Rest des Spieles passt. Dafür tragen dann die Spieler Verantwortung.

Es gibt auch Rollenspiele, die haben „echtes“ Player-Empowerment in den Regeln eingebaut; bei diesen Spielen können die Spieler den Plot mitbestimmen. Alle erzählen gemeinsam, was passiert. Die Spieler legen zusammen fest, in welche Richtung sich die Geschichte bewegt. Zunächst sind da die SL-losen Systeme (wie z.B. Western City), bei denen es keinerlei Macht beim SL gibt. Damit das Zusammenspiel trotzdem klappt, obwohl es keinen Moderator gibt, gibt es oft „harte“ Regeln, wann wer sprechen darf. Andere Systeme, wie z.B. The Pool erlauben den Spielern in bestimmten Situationen ganz gezielt, mehr als nur ihren Charakterhandlung zu beschreiben. Der Vorteil ist, dass die Kompetenzveränderungen geregelt sind, d.h. es kommt im Zweifelsfall nicht zu Streitereien am Tisch. Der Nachteil für einen klassischen Spieler ist, dass sich die Regeln vom klassichen Spiel entfernen und zunächst etwas komisch, ungewohnt wirken.

Bei dem oben beschriebenen „kleinen“ PE, bei dem die Spieler dem Spiel lediglich Farbe geben, ist die Veränderung nicht an harten Regeln zu fassen, sondern eher eine Verschiebung auf der Gruppenebene. Der SL fungiert als Moderator und koordiniert alles, die Spieler können so einiges zum Spiel beitragen. Es gehört ein bisschen Übung und „unsichtbare Absprache“ dazu, dass die Spieler dem SL den vorbereiteten Spielabend nicht kaputtmachen. Das ist aber in einer eingespielten Runde meist kein Problem; die Leute kennen sich und den SL. Sie ahnen, was unwichtig ist und was sie erzählen dürfen. Sie erraten, was wichtig ist und was sie dem nicht kaputt machen dürfen. Das funktioniert einfach, weil Menschen gelernt haben, mit anderen Menschen zu kommunizieren.

Ein weiterer „Nachteil“ ist die größere Verantwortung der Spieler. Plötzlich können die Spieler nicht nur aus der Sicht ihres Charakters erzählen, sondern müssen auch das große Ganze im Blick haben. Das schwer zu fassende Phänomen „Immersion“ wird dadurch erschwert. Der Blick durch die Augen des Charakters wird ersetzt durch den Blick eines Regisseurs, der die Stimmung am Set erfassen und auf die Story abstimmen muss. Eventuell lassen auch die Überraschungen nach – denn bei Western City kann man unmöglich (oder geht es vielleicht doch irgendwie?) ein Abenteuer spielen, bei dem die Spieler einen Mord aufklären müssen und rätseln, wer der Mörder ist. Andererseits ist dafür die kreative Leistung der Spieler höher, das Spiel wird oft befriedigender, weil alle etwas leisten und zum guten Gelingen des Abends beitragen, mehr als beim klassischen Spiel jedenfalls. Der Spielleiter wird entlastet, die Vorbereitung wird kürzer, das Leiten einfacher. Kurz: Das meiste, was Spielleiten für viele zum No-Go abgestempelt hat, fällt weg.

Wenn sich jemand für Player Empowerment interessiert, sich aber nicht wirklich vorstellen kann, wie man so etwas umsetzen kann, dem rate ich: Probiere The Pool aus. Einfach nur mal an einem Abend. Das Regelwerk ist mit acht Seiten eher kurz und einfach, aber es macht Spaß. Ich habe mir an einem Spielabend, an dem wir spontan gespielt haben, eines der Mysteria Arkana aus einem der grünen Bücher geschnappt und dann haben wir losgespielt. Da die Spieler bei The Pool eh alles ändern können, lohnt es sich für den SL nicht, ein Abenteuer im DSA-Sinne auszuarbeiten. Besser ist eine Idee, ein Anfang, vielleicht ein paar NSCs mit Zielen. Und dann kann es losgehen :)
zuletzt geändert: 16.5.2008, 19:10
17.5.2008, 16:30
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Haarald
Gibts einen Link zur Diskussion im Ulisses-Forum?
17.5.2008, 17:04
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Dom
20.5.2008, 22:16
Irian
Finde ich schön zusammengefasst.

Bei uns gab es eigentlich immer PE-light. Das heißt, wir Spieler haben uns z.B. im Endkampf die Freiheit genommen, einen vom Meister nie auch nur angedeuteten Kronleuchter zum Abstürzen zu bringen o.Ä.

Gerade in Situationen, in denen es nicht so darauf ankommt, meinetwegen beim Einkaufsbummel oder ausgedehnten Fluff-Szenen, konnte es aber auch mehr sein…
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